Das von Thorsten Kreissig seit 2014 formulierte Konzept der Dramolett-Räder entwickelt die Prinzipien der Demokratisierung, Partizipation und Co-Creation im Theaterbereich konsequent weiter. Dabei fliessen Ideen seiner öffentlichen Community-Dance Projekte wie Dance the Cranko ebenso ein wie die Prinzipien des von Station zu Station wandernden Publikums beim Open-Air-Spektakel Pictures in the Park.
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Dramolett-Räder als kollaboratives Nachbarschaftstheater
Seit einigen Jahren werden unter dem Begriff „Bürgertheater“ an vielen Stadt- und Staatstheatern neue Stücke und spezielle Bearbeitungen von Klassikern entwickelt, bei denen ausser den fest engagierten Schauspieler*innen der Theater auch vom Thema Betroffene als Repräsentanten der Gesellschaft in Form von „Bürgerchören“ auf der Bühne stehen. Viele der Stücke haben einen starken aktuellen und oft auch regionalen Bezug. Neue, eigens kreierte „Dramolette“ (also Kleinst-Stücke à höchstens 15 Minuten) werden kostenfrei und für jedermann zugänglich auf temporären Open-Air Bühnen im Stadtviertel gespielt. An jedem Aufführungsabend werden in einem Rotationsprinzip nacheinander 6 – 8 unterschiedliche Dramolette gezeigt, die aus allen künstlerischen Sparten kommen können: reine Musik, Tanz, Schauspiel ebenso wie Performance, Improtheater oder Interaktionsformate.
In den drei Monaten vor den Aufführungen entwickeln interessierte Bewohner*innen innerhalb der beteiligten Stadtviertels bzw der ganzen Stadt einen von ihnen gestalteten künstlerischen Dialog, zu dem sie die restlichen Bewohner*innen einladen. Dabei werden in den Stadtvierteln vorhandene Infrastukturen sowohl für die Proben als auch die Aufführungen genutzt. Zur Entwicklung der Dramolette können Fachleute als Berater*innen zugezogen werden.
Theaterproduktion als Gemeinschaftserlebnis
Nichts verändert die Welt mehr als eindrückliche und damit nachhaltige Erlebnisse. Nichts bietet einer Nachbarschaft bessere Möglichkeiten als die gemeinsame Arbeit an einer Theaterproduktion. Von der Ideenentwicklung im “Story-Biotop“ über die konstruktiven, demokratischen Diskussionen um die interessanteste Möglichkeit die gefundenen Ideen im „Szenen-Generator“ umzusetzen, bis hin zum Bemühen um die glaubhafteste Darstellung in den Endproben entstehen Aufführungen, die das Publikum begeistern. Kreativität und Sozialkompetenzen werden ganzheitlich trainiert. Jede*r einzelne Teilnehmer*in erlebt die eigene gestalterische Kraft, entdeckt in den vielfältigen handwerklichen, darstellerischen und auch konzeptionellen Etappen der Stückentstehung und Entwicklung die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Spass, Inspiration und eine hohe Eigenständigkeit der Beteiligten bei der gemeinsamen Entwicklung unterstützt auch die soziale Kohäsion von Nachbarschaften. Durch die am Ende gezeigten Stücke werden die aktuellen Bedürfnisse auf neue Weise sichtbar. Die so entstehenden Einladung in einen Bürgerdialog mit Hilfe künstlerischer Mittel setzt neue Energien frei. Die eigene, ganz lokale Identität wird zur Grundlage der Begegnung mit neuen, unerwarteten Aspekten.
Nachbarschaftsensembles – die Dramolett-Teams
Interessierte Bürger*innen
erarbeiten im Rahmen von kleinen Nachbarschaftsensembles, den sogenannten
„Dramolett-Teams“, ihre eigenen Stücke und werden so zu Autor*innen und
Darsteller*innen. Die Dramolett-Teams enstehen dabei möglichst kleinzellig –
z.B. aus den Anwohnern eines Strasse, einer Hausgemeinschaft oder eines kleinen
Viertels.
Die Dramolette werden in mehreren Probeneinheiten in den drei Monaten vor den
Aufführungen vorbereitet.
Dabei können den Dramolett-Teams künstlerische Berater*innen zur Seite gestellt werden, die die Teams als Fachleute bei der Stückentwicklung unterstützen.
Orte und Zeiten
Die verschiedenen Teilproduktionen wandern reihum durch die Aufführungsorte, so dass jede*r Zuschauer*in insgesamt alles gesehen hat.
Die verschiedenen Bühnenplätze sollten ninnerhalb von höchstens 10 Minuten per Fahrrad erreichbar sein, da die Schauspieler*innen bzw das Publikum von Ort zu Ort wandern werden.
Aufführungsorte – öffentliche Plätze
An 6-8 öffentlichen Plätzen innerhalb eines Stadtviertels werden einfache Bühnen aufgebaut, die über eine wetterstabile einfache Grundausstattung an Licht und Ton verfügen. Der Bühnenaufbau orientiert sich dabei an den architekonischen Gegebenheiten:
Es wird Bühnen geben, bei den das Publikum wie im Kino auf einen zentralen Spielort schaut, bei anderen wird sich eher eine Arenabühne wie im Circus oder Stadion anbieten. Örtliche Besonderheiten wie Brunnen oder Hausfassaden sollten nach Möglichkeit ins Spiel miteinbezogen werden.
Aufführungszeit – im Sommer
Da die Aufführungen Open Air stattfinden sollten und die meisten Darsteller*innen „normalen“ Berufen nachgehen, sind als Proben- und Aufführungsterine Termine Freitag-, Samstag- und Sonntagabende im Sommer vorgesehen.
Ortskundige Projektmanager
Für die organisatorische Leitung ist es sehr sinnvoll, Freiwillige vor Ort aus der jeweiligen Nachbarschaft zu gewinnen. Die Projekte können auch leicht über schon bestehende Nachbarschaftsplattformen wie z.B. Nebenan organisiert werden.
Optimale Nutzung vorhandener Ressourcen und Infrastrukturen
Für die Proben- und Aufführungsorte ist es sinnvoll, vorhandene Ressourcen zu nutzen. Proben könnten z.B. in Freizeit- und Jugendheimen, Schulen oder Stadtteilzentren stattfinden.
Aufführungen könnten an verkehrsberuhigten Plätzen, in Fussgängerzonen oder auch in ruhigen Brachflächen stattfinden.
Geeignet sind auch Vorplätze von Theatern, Museen oder Schulhöfe.
Die Bestuhlung der Bühnen kann z.B. über an den Aufführungsorten ansässige Gastronomen gestellt werden, die an den Aufführungsabenden ihre vorhandenen Tische und Stühle auf die Bühnen ausrichten.
Rotationsmodelle A & P
Prinzipiell existieren zwei in der Praxis erprobte Modelle der Rotation.
Bei der A-Rotation wandern die Akteure von Bühne zu Bühne, das Publikum bleibt sitzen.
Bei der P-Rotation bewegt sich hingegen das Publikum und die Darsteller verharren an Ihren Spielstationen. Bei dieser Variante empfiehlt es sich, Guides einzusetzen, die ihre Publikumsgruppe von Anfang begleiten, das pünktliche Eintreffen an den Stationen ermöglichen und auch für Rückfragen des Publikums zur Verfügung stehen.
Je nach örtlicher Gegebenheit und Grösse des zu bespielenden Gesamtareals
Stückentwicklung
Innerhalb eines Stadtviertels, das am Dramolettrad teilnehmen möchte, werden die Bewohner*innen angesprochen, sich aktiv an einem ca 6 -12 Wochen dauernden Entwicklungsprozess der Dramolette zu beteiligen. Jedes Dramolett-team sollte mindestens 10 und höchsten 25 Teilnehmer*innen haben. Bei grossem Interesse können in einem Viertel auch mehrere Teams gebildet werden.
Oft werden sich Teams aus schon bestehenden Organisationen wie z.B. Gesangsvereinen, Sportvereinen, Tanzschulen oder auch Laienspielgruppen entwickeln. Um das Prinzip der bewussten Öffnung nach Aussen zu betonen, sollten bei solchen Gruppen mindestens 20 % aus Nichtmitgliedern der Vereine stammen.
Künstler*innen als Performance-Hebammen
Die kollaborative Entwicklung der Stücke kann durch Künstler*innen verschiedener Sparten unterstützt werden, die den Dramolett-Teams als konzeptionelle Inputgeber*innen zur Verfügung gestellt werden.
Budget
Durch die geschickte Nutzung schon vorhandener Ressourcen ist das Prinzip der Dramolett-Räder eigentlich überall umsetzbar. Ähnlich wie bei Stadtfesten werden von der zuständigen Verwaltung die Bühnen zur Verfügung gestellt.
Jedes Dramolett-Team erhält ein festgesetzte Pauschale für eine minimale Ausstattung der Stücke sowie für eine Verpflegung bei den Proben.
Für die künstlerischen Berater, die möglichst aus der Region kommen sollten, werden faire Gagen verhandelt.
(Diese Unterseite wurde letztmalig am 19. Januar 2019 aktualisiert. Sollten Sie irgendwelche inhaltlichen oder formalen Fehler entdecken, freuen wir uns über eine entsprechende Rückmeldung unter kreissig@kreissig.net. )